Endlich hatte sich Jimmy von seinem Schreck erholt, das hatte eine Weile gedauert, und wagte einen neuen Anlauf. Unter dem Eisengitter hindurch, nach links schauen, nach rechts, vorsichtig einen Fuß nach vorne setzen ... Wumm! Und schon wieder kam eins dieser Ungeheuer an und hielt direkt auf ihn zu! In Panik sprang er zurück, unter dem Gitter hindurch, suchte Schutz hinter der Mauer. Schon wieder musste er verschnaufen und neuen Mut sammeln. So ging das schon seit einer Ewigkeit. Er würde nie wieder heim finden, zu seinen Freunden und seiner Familie – nie wieder. Und alles nur, weil er gestern nach dem Tanztee am Kewstoke Beach im Überschwang falsch abgebogen war.
Wie oft sollte er noch versuchen von hier wegzukommen, wenn bei jedem Anlauf ein Ungeheuer auf ihn zu stürmte? Die Turmuhr schlug zwei Mal, verlieh ihm neuen Mut. Seit sie das letzte Mal geläutet hatte, hatte er drei Versuche unternommen. Also los! Aber was war das? Dieses Brummen kannte er doch schon – auch dieser Anlauf musste scheitern. Deprimiert setzte er sich auf einen Pilz, stützte den Kopf auf seine Hände und verzweifelte. Das war’s dann wohl.

Was war das für ein Geräusch? Es quietschte – da, wo das Gitter in der Mauer war. Ein Mensch trat ein. Ein Mensch! Der probierte die Tür zur Kirche, fand sie verschlossen vor, wendete und wollte das Gelände mit dem Friedhof, der die Kirche umgab, wieder verlassen. Das war seine Chance. Flink kletterte und sprang Jimmy an Blumen, Grabsteinen, Bäumen und Ästen empor, lief auf der Mauer und sprang dem Menschen auf die Schulter. Dieser bewegte das Gitter in der Mauer – da kam schon wieder eines dieser Monster angerauscht. Was passierte jetzt? Er stand einfach da, sah zu wie es vorbeizog und überquerte dann die Straße. Juhu, er kam seinem Wald näher! Und was machte er nun – das konnte doch nicht wahr sein? Der Mensch bog direkt in seinen Wald ein! Schritt für Schritt kam er seinem Wohnort näher, Jimmy brauchte nur sitzen zu bleiben. Er entdeckte das Eichhörnchen Crunch und winkte ihm zu. Er verstand, sprang über die Bäume und deren Äste hinfort. Später sah er die Elster Tusa fliegen. „Alle kommen“, krächzte sie ihm zu, was der Mensch nicht verstehen konnte. Immer mehr Tiere und Kobolde zeigten sich. Alle bemühten sich seinem Transporteur viele und verständliche Zeichen vor die Füße zu legen – Büschel an Buchenblättern, ganze Zweige, Zapfen, eine Krähenfeder und, kurz vor dem Ziel, ein unverkennbares Zeichen, die Feder eines Bussards. Doch was machte der Mensch? Er schien sie nicht zu bemerken, oder nicht zu verstehen, trudelte unschlüssig herum, blieb stehen und wunderte sich, fragte andere Menschen. Waren ihre Zeichen nicht verständlich? Konnte das sein? Doch Jimmy entdeckte immer mehr Freunde und Verwandte. Kurz vor der eisenzeitlichen Festung, als die letzten Meter des Weges, als er mit seinem Menschen durch dichten Wald mit tiefhängenden Ästen kam, hangelte er sich hinüber und lief seinem Zuhause entgegen. Die Wiedersehensfreude war unbeschreiblich. Und dass dieser Mensch die Dankesgaben der Kobolde nicht verstehen konnte – das war eher sein Problem, als das der kleinen Wesen. Sie hatten ihren Jimmy endlich wieder – das war das einzige, das für sie zählte.


Otto war alleine aufgebrochen. Seine Freundin Anna wollte sich zwischen Ausflugsprogramm und Abendessen im Zimmer ausruhen. Gersten hatten sie Informationen zu einer eisenzeitlichen Festungsanlage auf dem Hügel im Wald, gleich neben ihrer Bleibe gefunden, die wollte er sich anschauen.
St Pauls Church sah alt und interessant aus, er wollte die Tür probieren, passierte langsam den sie umgebenden Friedhof, fand die Tür verschlossen vor und setzte seinen Weg fort. Er ließ das einzige Auto auf dieser Nebenstrecke passieren, sah das Hinweisschild am Beginn des Waldes und folgte dem Weg. Es ging ziemlich lang geradeaus und bergauf, ohne jeden Hinweis. Von einem der alten, efeuumrankten Bäume hing ein Seil, frisch abgefallene Zweige lagen mitten auf dem Weg. Der Wald wurde dichter, dunkler und auch ein wenig unheimlicher. War er noch richtig?
Nach 20 Minuten Fußmarsch kam er an eine Kreuzung, sah sich um, jeder Weg sah ihm gleich gut aus. Nachdem eine ganze Weile lang niemand seinen Weg kreuzte, entschied er sich rechts abzubiegen. Dort fand er eine Krähenfeder, in einer Art Halbkreis aus Steinchen liegen, das hielt er für ein Omen. Endlich kam eine junge Frau mit einem Kaffeebecher in der Hand vorbei, sie fragte er nach dem Weg. Es kam ihm vor als habe sie Angst vor ihm, aber sie schickte ihn den bereits eingeschlagenen Weg weiter. Dieser wurde enger und enger. Ein mittelalter Mann führte seinen Hund Gassi, auch dieser bekräftigte ihn weiterzugehen. Nun war der Weg zu einem Pfad geworden, schlängelte sich unter niedrigen Bäumen hindurch. Wurzeln hingen von Ästen alter Bäume herab, Spinnweben säumten den Weg, ließen ihn unpassierbar wirken, doch der Trampelpfad zog sich weiter. Ob die gestreifte Habichtfeder auf dem Weg ein gutes oder schlechtes Omen sein sollte, konnte er nicht abschätzen. Doch ihm kam jemand entgegen, ein Jogger, mit Stöpseln in den Ohren, aus denen Musik kam. Er musste Ottos fragenden Blick bemerkt haben, denn ohne seine Frage abzuwarten keuchte der Läufer etwas. Und, das bildete Otto sich nicht ein, diese Worte galten ihm. Zwei Mal sagte er leise „You’re right“, lief an ihm vorbei, tänzelte danach durchs Unterholz, bis er auf den breiten Weg kam und davon joggte. Erst als Otto stehenblieb und sich umsah, begriff er, dass all diese Steine keine Halde waren, sondern die alten Mauern aus der Eisenzeit.

Diese kleine Story ist in den neuen "Reisegeschichten" enthalten:

Was wir an fremden Orten finden.

 

Eine Sammlung an kleinen Entdeckungen auf Reisen. Bislang unbekannte Seiten an Mitmenschen, alte Geister an alten Orten, neuen Möglichkeiten, und vielem mehr.

 

Steig ein, reise mit, entdecke neue Ideen oder alte Erinnerungen!

 

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