Wer meint, früher wäre alles besser gewesen, kann mal die rosarote Brille der Verklärung abnehmen und sich das Ganze nochmals mit Abstand betrachten.

 

Leseprobe aus: "Geradeaus ist gerade aus"

 


Disco 1991

Endlich hatte ich den Führerschein! Ein Mal durch die praktische Prüfung gefallen, verlängert – und im zweiten Durchlauf bestanden. Endlich ein Auto! Fast mein ganzes Erspartes ging dafür drauf, und ich musste es mit Ma teilen. Tagsüber fuhr sie in die Arbeit, abends durfte ich fahren – das war der Deal.

Wer konnte uns jetzt noch halten? Stolz wie Bolle holte ich Konsti und Crazy ab. Beide bewunderten die Kiste – ein gebrauchter Fiat Uno mit 45 PS. So toll war das nun auch wieder nicht, für mich und uns aber bedeutete die Kiste Freiheit. Ab jetzt hieß es Disco, Disco, Disco!
Der F von der Pfarrjugend hatte einen Tip für uns. In einem angemieteten Kellergewölbe veranstaltete ein Lehrlingskollege von seiner Bank einen Abend. Wir brauchten uns also keine Sorgen zu machen, dass der Türsteher uns abwies – was in München gerüchtehalber gängige Praxis war.
„Wir sind Freunde vom F“, meinten wir am Eingang. Das schien keinen zu interessieren. Fünf Mark Eintritt zahlen – und wir waren drin. Musik aus den Achtzigern und teils Siebzigern, die wir kannten und mochten, und die in eine Disco gehörte. Crazy holte sich gleich ein Weißbier, Konsti zögerte noch, ich blieb bei Spezi. Immerhin musste ich das Auto fahren – das sagte ich nicht ohne einen gewissen Stolz.
Auf der Tanzfläche waren Weiber. Wir mischten uns dazu, tanzten sie an und sagten hallo. Irgendwie schien es sie nicht zu interessieren. Was hatten andere Typen, das wir nicht hatten? Schwarze Lederjacken, gegelte Frisuren, Hemden in schrillen Farben, Coolness. Dabei bewegten sich alle nur ein wenig hin und her, ohne das Gesicht zu verziehen. Selbst bei den Rocknummern wachte keiner richtig auf. Musste man da nicht herumhüpfen und seine Haare schütteln? Wenn schon die ‚Coolen’ so langweilig waren, was konnte dann aus mir noch werden? Später am Abend spielte der DJ ein paar Acid-Nummern. Endlich kam so etwas wie Leben in den Schuppen. Ein halbes Dutzend Leute drängten zur Mitte der Tanzfläche und fuchtelte mit den Armen herum. Es tat gut, ein wenig Leben zu sehen. Und die Musik war gar nicht so schlecht. Allzu laut durfte ich das nicht sagen, als bekennender Rockmusik-Fan, aber hey: es ist 1991! „Open your mind!“
Politische Grenzen verschwanden, warum nicht auch Grenzen zwischen Musikgenres? Ich ging im Rhythmus mit, Crazy war ebenfalls nicht zu bremsen. Für eine Viertelstunde vergaß ich alles und schwamm in der Musik, bevor sie wieder auf Disco-Classics umstieg. Jetzt brauchte ich noch ein Spezi.
Mit meinem Plastikbecher in der Hand stand ich herum, träumte vor mich hin, überlegte, ob mir die Frauen hier zusagten oder nicht. Und wie sprach man sie an? So, dass sie nicht gleich genervt waren ... Wäre nicht alles einfacher, wenn sie sich die Typen aussuchten, mit denen sie reden wollten, und auf sie zugingen?
„Hallo“, sagte eine Stimme neben mir.
„Hallo“, sagte ich und drehte mich. Oh nein!
„Mit dir will ich mich heute noch ins Bett legen.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Ich muss nur leider heimfahren.“
„Ach ja?“
„Ja.“
„Schade eigentlich. Du bist echt süß.“
„Tja, kann man nix machen.“
Hoffentlich habe ich ihn abgewimmelt.

 

Im bevorstehenden Lockdown überkommt Viele wieder das Gefühl, da draußen etwas zu verpassen ... Aber seien wir ehrlich: in der Disco Leute kennenzulernen – das hat fast nie geklappt.

Schön, wer sich heute darüber amüsieren kann.

 

Die Fortsetzung gibt es HIER

 

 

Über 5 Jahre lang habe ich Erinnerungen und Schnipsel zu den 90ern gesammelt, geordnet und in eine lose Handlung gebracht. Es ist eine Sammlung an skurilen, verrückten und lustigen Begebenheiten - für alle, die sich auf Zeitreise begeben wollen oder einfach nur neugierig sind und schmunzeln wollen.

 

 

Ein Wort zur Preisgestaltung:

Die Print-Ausgabe berücksichtigt gestiegende Druck- und Papierkosten. Der Preis ist so ziemlich am unteren Ende. Kein Witz.

Beim eBook war ich da wesentlich freier.

 

Für das eingesparte Geld eines Kneipenbieres ein eBook,

für die eingesparte Oktoberfest-Maß das Papierbuch,

und bei mir kommt auch noch was an.

Klingt nach einem fairen Deal? Ist es auch.