Drei Tage am Bosporus

Istanbul

Dezember 2001

 

 

Partymetropole, neuerdings Streetfood-Mekka, Schmelztiegel der Kulturen – es gibt viele Gründe, ein paar Tage in Istanbul zu verbringen.
Doch was mache ich alleine dort, planlos, Ende Dezember?
Ich musste auf den letzten Drücker Resturlaub abbauen, und wollte nicht zuhause bleiben ... Kein Problem – selbst für Typen wie mich ist was dabei!

 

 

Der Bus von Öger Tours bringt deutsche Touristen, mit großen Koffern, in schicke Hotels. Bei „meinem“ Hotel steige nur ich aus, mit kleiner Tasche. „Ein Abenteurer braucht nicht viel“, scherzt der Reieseleiter. Ich hatte das Billigpaket gebucht: all exclusive – keine Ausflüge, kein Abendessen, kein Programm. Drei Tage auf eigene Faust – perfekt.

Über die Straße gibt es Iskender Kebab, in einem Grill-Restaurant. Ich darf eine Fleischsorte von 3 auswählen, die ich nicht verstehe. Bekomme Spieße auf Reis, und tippe es ist Hammel. Dazu Uludag-Limonade und Tee. Es werden ein paar Gläser mehr Tee, als Geschenk des Hauses kommt öfter mal ein Tässchen auf den Tisch. Für alles zahle ich etwa 10 DM.
Kühler Wind treibt Polizeisirenen und Muezzinrufe durch die Straße.
    „Lütfen bir birra“, bestelle ich an der Hotelbar, doch der Barkeeper spricht gutes Deutsch, und zapft mir ein Efes-Bier.

Erster Tag. Ich klopfe an die kleine Ticketbude, wecke den Verkäufer. Bitte 1 Fahrkarte und eine für zurück. Die Tram fährt mich an modernen Gebäuden vorbei in die Altstadt.


Hagia Sophia
Die Mutter aller Kathedralen (ca. 15 DM Eintritt, sie ist ein Museum).
Als die Stadt noch Byzanz hieß und griechisch war, bzw. oströmisch, war sie eine der größten Kirchen überhaupt. Innen voll mit Mosaiken ausgestattet. Die meisten strahlen noch, oder wieder, erzählen mir von anderen Zeiten und Welten. Islamische Ruhmestafeln, nach der türkischen Eroberung angebracht, blieben hängen – es ist ja ein Museum.
Beachtenswert ist die große, allesbeherrschende Kuppel. Nicht die größte, aber die erste, die nur auf 4 Pfeilern ruht.
Mich fasziniert die Vielzahl an Bögen, Türmchen, Kapellen des achteckigen Baus, die Fläche der Mosaiken und natürlich das Alter (5./6. Jh. n. Chr.).


Sultan-Ahmed-Moschee (oder: Blaue Moschee)
ist gleich nebenan. Doch auf dem kurzen Weg werde ich schon angesprochen. Wie ich heiße, woher ich komme, ob ich eine Tasse Tee mag? Der Onkel des freundlichen Mannes hat einen schönen Laden, dort bekomme ich Tee, kann dazu ein paar Teppiche anschauen ... Nein danke.
Ein Bursche fragt mich: „Bist du deutsch? Brauchst du Chevignon-Jacke?“ Nein danke.
    An der Moschee ziehe ich brav meine Schuhe aus und leihe mir Filzpantoffeln. Vorsichtshalber lasse ich sie nicht stehen, sondern nehme sie in meiner Plastiktüte mit. Zum ausziehen muss ich mich hinsetzen. Und schon kommen zwei Männer, der eine fragt: „Bist du deutsch?“. Mir reicht es. Zögernd frage ich zurück: „Tysk? ... Nei.“ Er probiert es mit englisch. „Anglisk? Nei. Je snakker bare norsk, entschül.“ Mein (Fantasie-) Norwegisch funktioniert, verwundert lassen sie von mir ab.
In der Moschee dauert es nicht lang, bis mich der „Mesner“ entdeckt, begrüßt, und mir die Besonderheiten zeigt. Das da: sehr alt. Das da: sehr wertvoll und bedeutend. Von hier kannst du ein gutes Foto machen. - Ja, vielen Dank. -Naja, das kostet schon ein wenig Bakschisch ...
Ach so: 16. Jh., die vielleicht bekannteste Moschee der Stadt, gilt als Hauptwerk der Osmanischen Architektur. Den Beinamen hat sie wegen der vielen blauen Fliesen, mit denen sie innen ausgestattet ist.


Tag 2:  
Chorakirche
griechische Kirche aus dem 10. Jh., restauriert im 13. Jh. Etwa 50 Jahre nach der osmanischen Eroberung wurde sie in eine Moschee umgewandelt, die Bilder übertüncht, sofern sie nicht schon bei einem der Erdbeben von der Wand gebröckelt waren.
Seit 1948 werden sie freigelegt und restauriert. Die Fresken und Mosaiken zählen heute zu den besterhaltenen byzantinischen Werken. Man kann sie aus der Nähe bestaunen, das Gebäude ist überschaubar, der Besucherstrom ebenfalls.

 

Griechischer Friedhof
In Grufti-Manier spaziere ich über einen Friedhof. Finde verfallene Gruften. Und griechische Inschriften.

 

Theodosianische Mauer
ab dem 5. Jh. errichtete Stadtmauer, zum Schutze, als die Stadt Konstantinopel hieß. Sie gilt als eine der bestkonzipiertesten Verteidigungsanlagen.
Nachdem in Rom die Barbaren mehrmals eingefallen waren, wurde man im oströmischen Teil hellhörig. Ein Erdbeben brachte die Vorgänger-Mauer zum Einsturz. Zu einer Zeit, als sich die Hunnen der Stadt näherten.
Der Neubau dauerte angeblich 2 Monate. Als Attila anrückte, und die Mauer begutachtete, sah er von Belagerung und Angriff ab, zog rüber ins Weströmische Reich (Rom). Fast tausend Jahre lang gewährte sie der Stadt Schutz. Erst 1453 gelang den Osmanen die Eroberung der Stadt.
Tekfür Saray, oder Porphyrogennetos-Palast
aus dem 13. Jh., in die Theodosianische Mauer integriert, Teil des Blachernen-Palastes. Nach der osmanischen Eroberung verschiedentlich zwischengenutzt, ab dem 17. Jh. dem Verfall überlassen.

 

Irgendwo in der Altstadt, an einem der heruntergekommenen Häuser, sehe ich dann das hier: ein „Eiermann“, mit einem Schiebewagen, läuft rufend durch die Straßen. Eins der Souterrain-Fenster öffnet sich, eine Frau mit großem Kopftuch meldet sich, gibt Geld raus, nimmt Eier entgegen. (Derartiges hatte ich bei uns zuletzt in den 80ern gesehen ...).

 

Ich finde mich nicht mehr zurecht, nehme mir ein Taxi. Der Fahrer ist jung, wirkt wie ein Student, und spricht deutsch. Es regnet unaufhörlich. Ich versuche die Verkehrsregelung zu verstehen, komme aber übers Staunen nicht hinaus.


Süleymaniye Moschee
eine der großen Moscheen der Stadt, aus dem 15./16. Jh., in vielen Aspekten der Hagia Sophia nachempfunden, gilt als frühes Beispiel der osmanischen Architektur. Eine große Kuppel beherrscht den Bau, von dort geht es zu halbrunden Räumen weiter. Die Säulen (z.B. im Innenhof) und ihre Herkunft, aus allen Ecken des Osmanischen Reichs, spielen symbolisch eine wichtige Rolle.

 


Tag 3
Der Basar
Kapali Carsa, oder „Großer gedeckter Basar“.
der (angeblich) größte Basar des Orients. Nichts, was es hier nicht gibt. Die meisten Stände sind in der großen Markthalle. Säckeweise stehen Gewürze herum. Frauen nehmen von oben eine Prise, probieren kritisch, gehen unbeeindruckt weiter. Gewürzhändler gibt es hier mehr als genug.
Tee, Gemüse, Klamotten, Lampen, Schmuck – alles ist da.
In den Läden draußen, teils schon in den Straßen, gibt es Parfüm, ganze gerupfte Hühner, Schubkarren, Bolleröfen. Nichts, was es hier nicht gibt.

Topkapi Serail
Ich komme in die englische Führung. Dort sind alle Nationen vertreten, nur keine Engländer. Sie alle wirken tiefenentspannt ... Der Führer wirkt locker, vielleicht weil diese Gruppe eigenständig und interessiert zuhört und sich umsieht?
Palast des Sultans, errichtet bald nach Einnahme der Stadt, bis ins 18. Jh. genutzt. Die Räume zeigen einen interessanten Stilmix, wobei das meiste im 18. Jh. restauriert wurde.
Harem:
Der geschützte, unverletzliche Ort für Frauen, ist Teil des Palastes. Viele Mythen und Gerüchte ranken sich um ihn. Seine genaue Bedeutung hat sich mir –auch im Zuge dieser Recherche– nicht ganz erschlossen. Die Mutter des Sultans wählte aus den Frauen Bettgenossinnen und Ehefrauen für den Sultan aus. Andererseits bekamen viele Frauen den Sultan nie zu sehen, dafür erhielten sie dort Erziehung und Unterricht in allen möglichen Fächern. Sultanstöchter etc. wurden auf ein Leben an (einem fremden) Hof vorbereitet, Künste wurden gepflegt. Männliches Personal dort bestand ausschließlich aus Eunuchen. Somit war es ein sicherer und „heiliger“ Ort für die Frauen – wenn sich auch die Funktion als „Bordellbetrieb“ im Westen festgesetzt hat. Nach der Aufklärung musste die Idee in Europa einfach auf Verwunderung und Unverständnis treffen ...


Abends wieder Iskender Kebab, danach Efes-Pils. Ein deutscher Reiseleiter klemmt sich ebenfalls an den Tresen der Hotelbar, erzählt dem Barkeeper seine Abenteuer. Troja, bei Regen und Nebel. Mit der ganzen Reisegruppe im Schlepptau ... Der Barkeeper nickt nur und hört geduldig zu – wie so ziemlich jeder andere Barkeeper der Welt ...


Nach dem letzten Frühstück sitze ich herum, warte auf den Bus. Ein junger Mann läuft mit zwei Händen voll Münzen herum. Ich bekomme mit: es ist Trinkgeld, oder Geld für Zigaretten-Briefmarken-etc., die Touristen hier im Hotel auch in D-Mark zahlen können. Leider tauschen Banken keine Münzen um. Jetzt möchte er sie in Geldscheine wechseln. Die Leute sind misstrauisch. Ich nicht, zähle nicht mal nach. Vierzig Mark? Zwei Scheine gegen eine Hosentasche voll Münzgeld – kein Problem. Bald kann ich sie  ja wieder ausgeben ...

Heimflug
Mit einer Charter-Maschine von Sunshine Holiday (oder so ähnlich) geht es erst nach Leipzig. Die Treppe hinab aufs Feld. Dort steht gleich die Polizei. Türkische Mütter, mit 4 Kindern, und 4-6 Plastiktüten in den Händen, müssen Ausweise zeigen. Diese 2 Kinder sind meine, das hier ist von Schwester ..., für das hier habe ich einen Ausweis von ..., und für das hier ... Es dauert. Das Ganze wiederholt sich noch ein paar Mal.
Dann sieht er mich aus dem Augenwinkel (in meiner Schmuddeljacke) – so blass, so blond, mit einem dt. Reisepass, und winkt mich einfach durch. Ohne ein Mal meinen neuen Ausweis zu bewundern. Und das 3 Monate nach 9/11 und verschärften Kontrollen ... In München wiederholt sich das Spiel.
Jede Wette: in einem Business-Flug hätten sie genau mich gefilzt.

 

Nachtrag: BYZANZ
Das Römische Reich war zu groß geworden, um es noch sinnvoll regieren und verwalten zu können. Kaiser Diokletian teilte das Reich deshalb, um das Jahr 285 n. Chr., in 4 Teilreiche.
TRIVIA: Trier wurde 1 der 4 Hauptstädte
Durch Machtkämpfe etc. verkürzte sich das wieder auf 2 Teile: West- und Oströmisches Reich.
Der oströmische Kaiser Konstantin machte das griechische Byzantion zu seiner Residenz, nach seinem Tod nannte man es „Konstantinopel“.
Nach dem Fall Roms, um das Jahr 476 n. Chr. (genaues Datum von Historikern umstritten), konnte sich Ostrom von der Idee des Römischen Reichs lösen. Griechisch setzte sich als Amtssprache immer mehr durch. Ab etwa dem 6. Jh. ist öfter die Rede vom „Byzantinischen Reich“, parallel zum Oströmischen Reich. Dieses hält sich, mit extremen Gebietsschwankungen, bis 1453.

Ausblick: die Osmanen erobern Kleinasien, Konstantinopel (1453), den Balkan, und stehen 1529 vor Wien.
Die Balkan-Bewohner dürfen ihre jeweilige Religion behalten, müssen nur eine Steuer dafür entrichten. Der Islam ist steuerfrei.

In der Folge werden sie wieder zurückgedrängt, Siedler aus dem übervölkerten Deutschland werden nach Siebenbürgen geholt, die Länder des Balkans gründen sich neu. Ab dem 18. Jh. gibt es die Idee des „Nationalstaates“. Nachdem es an Adligen und geschichtlichen Vorlagen fehlt, besinnen sich die Länder auf ihre „Völker“, bzw. Sprachen.
Ein Land, das dieser Entwicklung hinterherhinkt, und dessen Bewohner sich lange (bis heute) an den Islam halten, ist Albanien.
Als sich Griechenland von den Osmanen befreit, fehlt dort ein Thronfolger. Die Bayern haben zufällig einen übrig (Otto I.), der zum ersten griechischen König der Neuzeit wird.

 


Was noch?

In Bayern wohne ich.

Und Leipzig war damals meine Lieblingsstadt.

 

Alles hängt mit allem zusammen? Irgendwie schon ...

 

 

Alle Fotos analog.Bessere Ergebnisse waren mir damals nicht möglich.

Ich habe versucht, aus dem alten Zeug das Bestmögliche herauszuholen.

 

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LITERATUR

An den Nachmittagen hatte ich mir meine Skripte zu "Graues Land" durchgesehen.

Musste vieles streichen, zusammenlegen, neue Abschnitte verfassen – um aus dem rohen Stoff etwas Lesbares zu machen.

Gesammelt hatte ich den Stoff in den Jahren zuvor, auf Reisen durch den Osten Deutschlands und Europas, oder sonstwohin. Aufbereitet in Grufti-Manier und einem betont rohen Stil, in einem Spannungsbogen angeordnet.

In Istanbul konnte ich das Ganze mal "aus Entfernung" betrachten, und auf Vordermann bringen.

 

Heute gibt es das Ganze gratis, zum Download, in einem eBüchlein zusammengestellt:

https://wortlaterne.jimdo.com/gratis-b%C3%BCcher-leseproben/