Venedig

Pfingsten 2002

"Pilotfahrt"
Oder: "mit Berti-Tours erlebst du was – ob du willst, oder nicht."

 

Teaser:

ich werde den Autoschlüssel verlieren und uns in Riesen-Schwierigkeiten bringen.
Werden wir je wieder rauskommen?
 


Die erste Fahrt mit meiner heutigen Frau. Über das Pfingst-WE (verlängert) nach Venedig, im Fiat Seicento, einem Uralt-Zelt aus den 80ern, Gasstövchen (ebenso alt), das meiste an Ausrüstung haben wir von unseren Eltern übernommen.
 
Ohne Grenzkontrolle und ohne Geldwechsel fahren wir durch Österreich nach Italien. Den Euro gibt es seit diesem Jahr, wir haben freie Fahrt.
Der Verkehr in Italien kostet mich Nerven. Vespa und Motorrad überholen mich auf der Landstraße gleichzeitig, einer rechts, einer links, bei vollem Gegenverkehr.
In Punta Sabbioni schlagen wir unser Uraltzelt auf, kochen selber.
 
Für 8,80 EUR gibt es die Drei-Tage-Karte des ÖPNV, also der Vaporetto-Boote im Stadtverkehr. In 45 Minuten fährt das Schiff von Punta Sabbioni zum Markusplatz.
 
Bei der Fülle an Sehenswürdigkeiten müssen wir natürlich auswählen. Im Rückblick fallen mir ohnehin nur noch 2 Orte ein.
 
Museo Correr
Am Markusplatz. Dekorative Räume, gute Ausblicke auf den Platz, große Sammlung an alten Skripten, Illustrationen, Fahnen, Münzen, Landkarten.

Markusdom

 

„Die Salute“
Mit vollem Namen: Kirche „Santa Maria della Salute“, eine Votivkirche. Heißt: sie wurde als Dank für das Ende einer Pestakademie errichtet, 1630-1687.
Das leere Innere überrascht uns. Für eine Barockkirche ist sie angenehm leer und hell. Steil bricht Licht aus der Kuppel und aus den Oberfenstern ins Innere, verleiht ihr eine Leichtigkeit und Heiterkeit, der wir uns nicht entziehen können.
Großformatige Gemälde berühmter Maler, z.B. Tintoretto und Tizian, gehören zu ihrer Ausstattung. So viel ich mich erinnere, war der Eintritt damals frei. Mehr Gemälde sind im angeschlossenen Museum in der Sakristei (das wir aus Budgetgründen sparen).
Auf den Stufen vor dem Gebäude machen wir Pause, genießen blauen Himmel und die helle Architektur. Es ist die schönste Stunde auf unserem „Ausflug“.
 

 

Wir laufen viel herum. Es sind die unterschiedlichen Erscheinungsformen der Wasserstadt, die uns faszinieren. Ein Mal abgebogen, sieht es schon anders aus.
Bei „der Guggenheimerin“ sieht alles ganz ordentlich aus. Drei Ecken weiter, und über eine kleine Brücke, sind wir in einer anderen Gegend.

 

 

In einer Art Rock-Café gibt es Kaffee. Und eine Toilette (in Venedig nicht überall Standard). Wir bleiben im Saal, dort ist es schön schattig und gute Musik läuft. Von der Terrasse hören wir lautstarkes Gerede deutscher Touristen. Hinter dem Tresen hängt die Preisliste. Wie auch in Frankreich, gibt es auch hier verschiedene Preise für ein Getränk (in etwa so): Tresen-Saal-Terrasse.
Zu laut darf ich das nicht sagen, sonst ist an den Tresen bald kein Platz mehr für uns …
 
Zum Abendessen laufen wir in ein Sport-Stüberl. Mit Mühe bestellen wir, niemand spricht englisch, wir sind die einzigen Fremden.

r.o.: ein abgerockter Platz, unweit des Markusplatzes. 

Um ein paar Ecken, und schon ist man ganz woanders ...


Nachts laufen wir an den Kanälen entlang, schleichen dunkle Wege entlang, hängen auf einer Parkbank ab. Das folgende Schauspiel wird gruseliger als eine Nachtwanderung.
                Wir sitzen auf der Bank auf einem großen Platz. Quer rüber verläuft ein Kanal, immer wieder schippern Gondoliere vorbei. Auf der einzigen Brücke steht ein alter Mann, vermutlich besoffen, und klagt sein Leid. Allen. Er ist so laut, dass jeder es hören muss. Überall stehen Fenster offen, die Anwohner müssen es hören, es scheint sie aber nicht zu stören. Nach einer halben Stunde haben wir genug, gehen weiter, genießen Mondschein und den Blick rüber nach San Giorgio Maggiore.
 
Im Nachtboot um 01:30 geht es lustig zu. Angeheiterte Franzosen blödeln in ihrer Gruppe herum. Es wirkt lustig und gesellig, ohne unangenehm oder aggressiv zu wirken.
Und junge Einheimische unterhalten sich in einem sehr weichen und angenehmen Italienisch – es muss Venezianisch sein.

 

 

Der Schock:
Kontrollgriffe – der Autoschlüssel fehlt. Alles durchsuchen, hilft nichts, er ist weg. Und in einer Stadt wie dieser: unauffindbar. Ersatz haben wir nicht mit.
 
Am nächsten Morgen verbringe ich 1-2h mit telefonieren, haue mehrere Telefonkarten durch (damals Stand der Technik). Ich staune, dass ich am Pfingstwochenende so viele Leute antreffe – sogar bei der Herz-und-Magen-Spedition meiner damaligen Firma.
Der Plan: mein Lieblingsnachbar geht in meine Wohnung, holt den Ersatz-Autoschlüssel, packt ihn ein. Die Spedition schickt einen Kurier zur Abholung, schickt das Päckchen per Luftfracht zum Flughafen Marco Polo.
Am Abend bekomme ich ein Fax von der Rezeption: der Frachtbrief, zur Abholung morgen am Flughafen.

Der ital. Automobilclub kommt vorbei, um mein Auto aufzubrechen (in meinem Auftrag). So kommen wir wenigstens an unsere Sachen ran. Der Nachteil: zusperren ist nicht mehr, es bleibt die ganze Nacht offen.
 
So geht Autoknacken:
Das Fenster mit der Brechstange ein Stück weit nach unten drücken. Ein Luftkissen in den Spalt, dieses aufpumpen, damit der Spalt offen bleibt. Einen gebogenen Draht, mit Schlinge am Ende, nach innen lassen. Die Schlinge um den Griffhaken der Tür legen und anziehen – offen ist die Hitsche.  
 
Übernächster Tag & Heimfahrtag:
Ich fahre mit dem ÖPNV zum Flughafen, um meinen Autoschlüssel abzuholen. Bin 1,5h unterwegs. Gehe in den Flughafen – wohin jetzt? Mein Hinweis zur Schnitzeljagd: zum Frachtschalter der Alitalia.
 
Ich frage diverse Servicekräfte. Hier lang, da lang, vielleicht so rüber? Die Antworten widersprechen sich. Alitalia hat ein Büro im 1. Stock, dort probiere ich es. Niemand da, niemand kommt.
Zum Büro der Lufthansa – damit mir jemand weiterhilft? Niemand da, niemand kommt.
Lost & Found? Ja, das ist genau mein Thema. Die ruhige, ältere Dame ist die erste, die sich mein Fax anschaut. Also: die Frachtbüros sind nicht im Gebäude, sie sind ein Stück weit entfernt, raus und rechts.
Ich frage einen Taxifahrer, ob er mich hinbringen kann. Die erstaunliche Antwort: geh rein, frag nach dem Weg, wenn du ihn genau weißt, fahre ich dich auch. Ah ja.
                Ich gehe zu Fuß los. Sehe nur Parkhäuser.
Zurück und mal nach links. Da kommen Baracken, die Nummerierung bekommt Ähnlichkeit mit meiner Angabe. Ein paar Häuserzeilen weiter, ja, die Zahlen stimmen überein, ich gehe rein.
Eine junge, gutgelaunte junge Frau freut sich des Lebens, sucht ein wenig, teilt mir freudestrahlend mit, dass sie den Vorgang gefunden hat. Es sind nur Papiere, ohne Ware. „Missing Cargo“ steht groß drauf. Juhu, sie hat es gefunden, felicita!
Nach einer Schrecksekunde fasse ich mich, bitte sie, mir die Papiere vorzulegen. Nochmals: ich suche einen Schlüssel. Ja, da hast du – felicita … Ich klopfe darauf herum, spüre etwas Hartes, in der Kontur eines Schlüssels. Oh, tatsächlich, da ist ja was drin! Ist das nicht lustig? Felicita!
 
Nach 3h Expedition verpulvere ich das gesparte Geld und steige kurzerhand in ein Taxi. Dem Fahrer gefällt das nicht, 1x um die halbe Lagune herum, für wenig Gage. Er fährt oft 30-40 km/h über dem Tempolimit. 70 EUR für ihn. Endlich können wir heimfahren.
 
In Österreich wird die ganze Autobahn über den Parkplatz gelenkt, der Zoll kontrolliert Vignetten. Alles klar, wir parken uns ein Stück weiter, nutzen den Rasthof. Dem Zoll ist langweilig, sie wollen unser Auto anschauen, unsere Geldbeutel, unterhalten sich ein wenig mit uns. Vielleicht ging es ihnen nur darum …
 
Eigentlich wollten wir nur … So beginnen immer die besten Stories.
 
 
Und für mein Mädel ist der Fall klar. Den Typen kann sie heiraten, der holt uns aus jeder Schieflage heraus. So kann man’s auch sehen.

 

 

Alle Fotos: analog. Ich habe versucht das Beste herauszuholen
 

Etwas ausführlicher von Venedig erzähle ich im Bericht "Italien 2004" (unsere Grand Tour), nachdem wir ein 2. Mal da waren:

https://wortlaterne.jimdo.com/retro-reiseberichte/italien-2004/

 

Reiselektüre

Was wir an fremden Orten finden

Featuring:

 

Entschleunigung in Venedig – ein Widerspruch in sich?

Als die beiden deutschen Kreativen für einen Auftrag in die Lagunenstadt fahren, scheint ihr Besuch in einem Fiasko zu enden.

Oder haben sie Entdeckungen gemacht, die das Potenzial haben, ihren Blick auf die Welt zu ändern?

 

"Ich mach' was mit Venedig" ist Teil dieses Bandes.

 

 

Link zum Buch

 

 

ANHANG

l.o.: Leitwarte, auf dem Weg von Punta Sabbioni zum Markusplatz

r.o.: Autowerkstatt, nur für Boote ...

l.2.v.o.: Tankstelle

2.v.u.: Murano (die Glasbläserinsel)

u.: "Industrial", irgendwo in der Lagune