Lost in Beijing 2
(vor einem Restaurant)

 

 

Aus flotter Fahrt bremst das Taxi ab und bleibt stehen. Ein Mann in dunkelgrauem Mantel, in Ostblock-Armee-Schnitt, öffnet die Türen, und erzählt uns etwas durch sein Megaphon. Mit der Aussprache sind wir nicht vertraut, es ist laut und klingt wie Schimpfen.


Wir sind 4 Passagiere, 3 Langnasen, C’s chinesische Freundin, und der Fahrer.

Durch sein Megaphon ruft er uns etwas entgegen, auf zwei Meter Abstand. Es klingt  nach Befehlen oder Beschimpfungen. Wir drei Langnasen haben alle etwas sehr Ähnliches verstanden. Wir sollen aussteigen, um entweder festgenommen zu werden, oder damit der Fahrer festgenommen werden kann. Ich sehe zum Fahrer, er lächelt und nickt nur, sagt etwas wie „jaja“. Wir verstehen überhaupt nichts, können die Situation nicht einschätzen und sind vollkommen ratlos. Immer noch steht er vor dem Taxi und rattert Worte durchs Megaphon. Völlig verloren, in einer kalten, dunklen Straße, zwischen Betonblöcken, irgendwo in der Megastadt – so fühlen wir uns.


Bis C’s Freundin übernimmt. „Ja ..., dann zahlen wir mal, steigen aus und gehen ins Restaurant“, schlägt sie vor. C reicht dem Fahrer das Geld, wir steigen aus, schon zischt das Taxi ab. Unschlüssig halten wir auf den Eingang des Restaurants zu, etwa 15 Meter Weg. Der Mann ruft uns Sachen hinterher. Ich fühle mich komplett fehl am Platz.


Drinnen sind leckere Gerichte auf beleuchteten Fotos abgebildet. Tausendjährige Eier zum Beispiel. Das Eigelb ist schwarz, das Eiweiß grün. Sie sind eine Delikatesse. Wir essen lieber langweilige Sachen.

 


Das Essen drinnen ist gut, es it ein etwas besseres Restaurant. (Vorbestellte Peking-Ente für alle. Ich habe Geburtstag, den dreißigsten.). Über der Theke hängen halb verblichene Fototafeln mit den Gerichten. Darunter Tausendjährige Eier – eingelegt und fermentiert. Das Eigelb ist schön schwarz, das Eiweiß schön grün. (Keiner von C’s Komolitonen und Kollegen, mit denen wir gesprochen hatten, hatte sich getraut sie zu probieren.)

 


Als wir das Restaurant verlassen, steht der „Soldat“ immer noch dort. Er interessiert sich nicht mehr groß für uns. „Ein Taxi?“, fragt er C’s Freundin, hält Ausschau, winkt eins heran, öffnet und schließt uns die Türen. Sein Interesse gilt vorbeifahrenden Autos, denen er etwas durchs Megaphon hinterher brüllt.
In diesen kurzen Minuten sehe ich ein wichtiges Detail an ihm. Der Mantel hat kleine Löcher, wo Abzeichen sein sollten. Er ist auch das einzig Militärische an ihm.

In C’s Wohnung, als ich ihm das letzte Dosenbier wegtrinke (es ist ja mein Geburtstag), bringe ich die Einzelteile endlich zusammen: der Mann macht Reklame für das Restaurant. Übersetzt hieß es also, in ungefähr: Restaurant Lotusblüte, hier seid ihr richtig! Tagesspezial ist Ente Mandarin, und vergesst nicht nach den Nachspeisen zu fragen! Da vorne ist die Tür, ihr könnt sie nicht verfehlen, ja, gleich seid ihr im Glück ... (so, oder so ähnlich). Nach dem Zahlen waren wir satt und uninteressant.


Und der Mantel? Der wurde von einem Soldaten als verloren gemeldet, schwarz verkauft, und hält den Sprecher warm, an diesem kalten Dezemberabend.
Dass seine Aussprache für uns nach Schimpfen klingt, dafür kann er nichts.

 

 

Anmerkung
Diese Begebenheit ist wahr.
Dramaturgische Elemente, oder fiktive Handlungen, hielt ich für unnötig. Es ist so schon absurd genug, finde ich.

 

 

Vollständiger Reisebericht:

https://wortlaterne.jimdo.com/reiseberichte/china-peking-shanghai-2002/