Frankfurt & Straubing
Die Museums-Tor-Tour
März 2019

Ich bin Kunstversteher. Zertifizierter Kunstversteher. Im Jahr 2017 hatte ich den Online-Kurs des Städel-Museums gratis und unverbindlich absolviert – als Entschleunigungsmaßnahme. Nach mehreren Wochen/Monaten, als ich ans Ende gelangte, fielen ein Zertifikat und 2 Freikarten aus dem Drucker. Gültigkeit der Karten 3 Jahre, davon waren 1,5 bereits vergangen – und wir kommen nie zufällig vorbei. Also fahren wir mutwillig nach Frankfurt.
Und die neue Ausstellung im Straubinger Gäubodenmuseum wollte ich mir auch anschauen. Also kombinieren wir beides.

„Frankfurt - Straubing“, das klingt nach einem billigen Roadmovie, und wird auch eins werden. Jede Menge Baustellen auf der Autobahn, Stau, Unfall, 2 von 3 Spuren gesperrt, 1,5h Verzögerung. Gebührenpflichtige Toiletten der immergleichen Kette, Kaffee der immergleichen Kette …
Um Frankfurt herum sind die Verkehrswege gut ausgebaut, und das schon lange. Größter Flughafen Deutschlands, Lage im Zentrum der alten BRD, Mainhafen; in den Orten ringsum haben heute viele Paketdientsleister ihre D-Zentrale. Am Flughafen ist die Autobahn vierspurig – davon können wir hier derzeit noch träumen. München wird zwar aufgebohrt, auch mit 4 Spuren in wenigen Jahren – aber wir sind einfach 30-40 Jahre hinterher …

FRANKFURT am Main

 

 

Städelsches Kunstinstitut
Das Städel ist eines der größeren Kunstmuseen, entsprechend geht es zu. Von den alten Meistern bis zur Moderne ist viel ausgestellt. Ich finde einige Kuriositäten, die Frau zeichnet.
Im Keller, bei der Moderne, fasst es meine Frau passend zusammen.
Früher ging Kunst auf Sinnlichkeit, Gefühle, Unbewusstes.
Heute hat unser Gehirn, unsere Rationalität, alles erfasst und durchdrungen. Kunstwerke sind dementsprechend aufgebaut. Denkmuster werden offengelegt, hinterfragt, zerlegt, in Einzelteile heruntergebrochen, … Ohne Verstand ist es gar nicht mehr möglich, mit dem Werk etwas anzufangen.

(Aus dem östlichen Deutschland kommt, seit ein paar Jahrzehnten, eine Alternative – mit Arno Rink, Neo Rauch (hier gezeigt) und einigen mehr).

 

o.: "Stillleben, Tiere kämpfen um Fleisch", Peeter Snyers (1681-1752)

2.v.o.r.: Johann Heinrich Roos (1631-1685): "Selbstbildnis des Künstlers mit seiner Frau und den Symbolen des christlichen Glaubens". (-"Ist das nicht ein bisschen arg?" -"Ja.")

3.v.o.r.: Pseudo-Félix Chrétien, "Kellerszene", 1537. (sieht aus wie aus den 1920ern?)

4.v.o.l.: ein echter Canaletto

2.v.u.l.: "Der Tanz der Ratten", Ferdinand van Kessel, 1690

u.l.: "Der bittere Trank", Adriaen Brouwer, 1636-1638

u.r.: Claude Monet "Häuser am Ufer der Zaan", 1871


Kuriosa
- Arnold Böcklin „Villa am Meer“:

erinnert an die Toteninsel antiker Mythologie; war bei Grufties sehr beliebt

 

- Wilhelm Leibl „Älterer Bauer und junges Mädchen; Das ungleiche Paar“:

Das Bild zierte bis 2018 das Etikett des Maxlrainer Schwarzbiers

 


Ein Spaziergang in „Mainhattan“ zeigt mir, dass die Wolkenkratzer der Banken nicht nur aus der Ferne gepflegt aussehen. Klar: für die sog. „Bankenrettung“ wurden Milliarden reingepumpt. (Der Straßenbau stand derweil hinten an, so manche Brücke stand kurz vor dem Einsturz. Falls ich mich wundere, dass es derzeit so viele Baustellen zeitgleich gibt …). Die Türme hätten viel Platz für ein paar Sozialwohnungen, oder Flüchtlingsunterkünfte (so als Gegenleistung?).

Auf den Straßen sind mehr superhässliche Autos unterwegs als in München. Ich dachte immer, das geht gar nicht mehr. (SUV = Super Ugly Vehicle).

 

Teaser: Rosen haben keine Dornen, und Palmen kaum Holz
Senckenberg-Museum
Eines der größeren Naturkundemuseen. Eine ganze Reihe Dinos, darunter Originale (viele sind „nur“ Abguss). Viele Versteinerungen, Skelette, ausgestopfte Tiere, Schaukästen. Sogar ein Dodo/Dronte ist zu sehen: ein zutraulicher Laufvogel aus Madagaskar. War leicht zu fangen und schmackhaft – deshalb im 16. Jh. Proviant für Seefahrer, und daraufhin ausgestorben.
So einiges im Museum wirkt „original 80er“. An Wissenschaft und deren Vermittlung wird schon mal gespart … Dennoch haben wir den halben Tag dort verbracht und vieles Interessantes gesehen.
Die Auflösung: die Rose hat Stacheln (keine Dornen, es ist eine andere Bauart); und der Stamm der Palme besteht außen aus ein wenig Holz, innen aus lockerem Grundgewebe.
Quelle: Schautafeln im Museum

 r.u.: ein Bild für die Fans (wie mich): Graureiher

 

Street-Life
- Vormittags ist das Fitness-Center, unter unserem Hotel, schon gut besucht.
- Auf den Straßen spricht fast jeder mit seinem Handy.
- In den Coffeeshops sitzen junge Menschen und reden die ganze Zeit. Hauptthema: ich, ich, ich, mir geht’s so schlecht, schlecht, schlecht … Dazu braucht es Gesprächspartner, die den ganzen Quatsch noch ernst nehmen.
- Autofahrer in ihrem SUV, fühlen sich gut in ihrem Panzer, nehmen den Quatsch noch ernst.
- Passanten wischen auf ihrem Smartphone herum, auch beim überqueren der Straße, nehmen den Quatsch noch ernst.
- All die schicken Läden in der City sind voll mit Kunden, die kritisch vergleichen, Ansprüche haben und das alles noch ernst nehmen.
- In den Restaurants wird andauernd geredet, auch während des Essens, über „ ich, ich, ich, mir geht’s so schlecht, schlecht, schlecht …“


Rolltreppen laufen ein wenig schneller, Grünphasen an Fußgängerampeln sind kürzer. Der Takt für Trams und U-Bahnen ist höher als bei uns (ca. alle 8 Minuten fährt was).
Abends im Fitness-Studio ist einiges los – ein persönlicher Coach kümmert sich um die Performance seiner Kunden.
Da uns vom zuschauen und -hören schon schwindlig wird, brauchen wir einen Ruhetag.


10:20 am Mainufer. Der Frachtkahn MS Dinero (NL) verlässt die Getreidemühle im Osthafen. Ein leerer Biergarten tuckert am Fluss vorbei (Speck1), ein Ruderboot mit 2 Männern nimmt Fahrt auf. In schnellem Takt starten vierstrahlige Passagierflugzeuge, ziehen über dem östlichen Stadtgebiet hoch. Züge fahren vorbei, Enten und Gänse fliegen, Krähen hüpfen herum … Der achtsame Mensch findet überall Interessantes … Ich entdecke dramatische Motive am laufenden Meter, knipse mich tot und bin um 11:00 schon erledigt.
Im Coffeeshop, gegenüber unseres Hotels, machen wir Pause vom Faulenzen – weit sind wir nicht gekommen.
Die Ampel springt auf Grün. Ein Porsche zieht über die Radspur, fährt einen Radfahrer fast um, dieser beschwert sich. Der Porschefahrer zieht es vor zu diskutieren, anstatt sich zu entschuldigen. Warum nur überrascht mich das nicht?

 


Neben dem Jüdischen Museum, in der Battonstraße, ist der Alte Jüdische Friedhof erhalten geblieben. Zu sehen leider nur über das „Gartentor“, aber immerhin. Ich freue mich, dass er noch erhalten ist, auch wenn er zur Sicherheit abgesperrt ist (und die Gefahr des Vandalismus wohl noch besteht).
Klötzchen an seiner Außenmauer erinnern an jüdische Mitbürger, die hier nicht bestattet werden konnten – Opfer der Deportation und Vernichtung. Eine schöne Idee. Doch deren Anzahl, und v.a. der Anlass, sind erschreckend zu sehen.

 

 

Das Shopping-Center „My Zeil“ ist ein Hingucker. Wir fahren mit der Rolltreppe hoch, und wieder runter.

 

In den Kleinmarkthallen geht’s gemütlich zu, und die Auswahl ist riesig.

 

Als wir im Palmengarten ankommen, gehen wir nur in die Tropenhalle und hängen dort ab.

 

Im Fitness-Center ist es Freitag abends gähnend leer – alle müssen auf die Piste.

2 Szenen Roadmovie
Fahrt nach Straubing. Bei Nürnberg geht eine Warnleuchte im Auto an: Zündung. Der Bolide zieht nicht mehr gescheit, als wären 1-2 Zylinder ausgefallen. Mit 90 km/h folgen wir den LKW. Der achtsame Mensch … – ich sehe auch nicht mehr, als bei 120 km/h.
(Die Diagnose danach ergibt: Abgasrückführventil defekt, 4h Arbeit, ca. 800 EUR Kosten. Bei 130.000 km, ein Diesel aus dem Volkswagen-Konzern …).
Das ist der Beitrag zum Thema „Schlechtes Roadmovie“.


Du weißt, dass Du wieder in Bayern (altern.: in einer Kleinstadt) bist, wenn:
- Die Grünphase an der Fußgängerampel länger dauert
- Die Menschen eher lachen, als über Probleme zu reden
- Sie eher schlendern als hetzen
- Samstag-Abend auf dem Hauptplatz kaum jemand unterwegs ist, weil 1) die Läden schließen (vor 20:00) und 2) die meisten bereits an einem der Tische sitzen und sich bedienen lassen

 

 

 

STRAUBING

 

r.o.: -"Ist das nicht ein bisschen arg?" -"Ja."

 

Gäubodenmuseum
(4 € p.P.)


„Baiern finden“, heißt die neue Ausstellung. Sie bringt viel Licht in eine finstere Zeit, museumspädagogisch weit vorne – hieß es in den Zeitungen.
Drei Monitore zeigen Fließtext, ein paar Exponate, 4-5 Schautafeln.

- Das Römische Reich zerfällt, die ehem. Herrschaftsgebiete geraten außer Kontrolle und werden aufgegeben. Von der römischen Oberschicht zieht, wer kann, nach Italien
- Die Rest-Römer mischen sich mit den zugewanderten Germanen
- Ab 166 (n. Chr.) gab es erste Einfälle der Markomannen in Ost-Raetien
- Straubing bleibt noch an die Verkehrswege angeschlossen (v.a. an die Römerstraße Regensburg - Passau)
- Erhalten sind Spruchbecher (z.B. mit der Aufschrift: AVE VITA. Hergestellt in Trier)
- (erst) Mitte des 4. Jh. schneidet ein Germaneneinfall die Stadt von der Versorgung ab. Es folgt eine verstärkte Zuwanderung von Germanen
- Langobarden sind die östlichen Nachbarn der Baiern. Über Wechselwirkungen finde ich nichts, nur 1 Amulett ist gezeigt. Vermutlich zogen sie durch
- Jordanes verfasst 551 den ersten Bericht über die Baiern

Es gibt nur ganz wenige Schriftstücke und Überlieferungen aus diesem Zeitalter, deshalb heißt es „Finstere Zeit“. Sie behält ihre Geheimnisse weiter für sich …

Römische Geschichte
Straubing aka Sorviodorum bestand aus 2 Kastellen, eines davon direkt an der Donau. Stationiert waren etwa 1.700 Mann, darunter (halbberittene) syrische Bogenschützen.


Militärdiplom:
- Die meisten Militärdiplome, die aus dem gesamten Imperium bekannt sind, stammen aus der Provinz Raetien (!) (grob: Schweiz bis bayr. Donau)
- Es besteht aus 2 Bronzetafeln, mit Draht verbunden, i.d.R. versiegelt
- Nach 25 Dienstjahren erhält der Soldat der Hilfstruppen das römische Bürgerrecht und das Eherecht.

Der Untergang West-Roms:
- Odoaker, ein römischer Offizier und halber Germane, reißt die Macht an sich. Er setzt den (west-) römischen Kaiser ab, und wird König Italiens
- Ost-Rom entsendet Truppen, um Odoaker zu bekämpfen. An deren Spitze steht: Theoderich, ein Ostgote.
- Die Ostgoten hatten sich ohnehin schon in Norditalien breitgemacht
- Ost-Rom nimmt Einfluss auf das Noricum (östlich des Inns, Teile des heutigen Österreichs).

Römischer Totenkult (durch Funde im Stadtgebiet nachgewiesen):
- Der Friedhof ist außerhalb der Stadt, an einer Ausfallstraße
- Der Verstorbene wird eingeäschert, der Scheiterhaufen wird mit Blumen geschmückt
- Und im Kreise der Familie wird die Urne beigesetzt, mit wichtigen Grabbeigaben für das Jenseits
- Die Bestattung bezahlt der Erbe
- Bei Angst vor den Kosten, kann man einem Bestattungsverein beitreten. Immer brav den Beitrag zahlen, dann übernimmt der Verein die Bestattung

 

Doch die eigentliche Sensation ist der Römerschatz
Im Hinterland gab es, ab dem späten 1. Jh. zahlreiche Gutshöfe (villae rusticae). 1950 wurde in einem zufällig einer der bedeutendsten römischen Funde in Deutschland gemacht. In einem Kupferkessel mit ca. 1,50m Durchmesser wurden Rüstungen gefunden. Sie umfassen Helmpanzer (metallene Gesichtsmasken), Helme, Brustpanzer und Rossstirnen.
Die Rüstungen waren aus dünnem Blech gefertigt. Ein Kampfeinsatz erscheint somit fraglich. Der Einsatz in Reiterspielen ist wahrscheinlich.
Nirgendwo sonst wurde das in diesem Umfang gefunden (!).

 

Ein ganzes Stockwerk ist der Frühgeschichte gewidmet. Von der Frühsteinzeit bis heute gibt es eine ununterbrochene Besiedlung.
Der größte bisher bekannte „linearbandkeramische“ Friedhof wurde 1975-80 in Aiterhofen-Ödmühle freigelegt. 160 Körpergräber, sowie 68 Brandbestattungen, wurden gefunden. Darunter Schmuck aus Spondylusmuscheln, die am Schwarzen Meer und im östlichen Mittelmeerraum zu finden sind.
Weitgespannte Handelsbeziehungen (entlang der Donau?) muss es damals schon gegeben haben.

l.o.: eine Spondylusmuschel

alle anderen: Modell und Plakate des Gäubodenfests 1912

 

 

Ihr könnt amerikanische Vampirserien aus New Orleans schauen, so viel ihr wollt – St. Peter toppt sie alle.

St. Peter
revisited, mit dramatisch verbesserter Kameraausrüstung

Die romanische Basilika ist weitläufig von einer Mauer umfasst. Auf dem Gelände stehen die Totentanzkapelle, Agnes-Bernauer-Kapelle, Liebfrauenkapelle, und jede Menge alter Gräber. Das Wetter ist gut und wir haben Zeit (außerdem parken wir gratis). Heißt: wir knipsen uns tot.

 

Agnes Bernauer, Kurzfassung: eine Bürgerliche, die Herzog Albrecht III heiratete (oder umgekehrt, vermutlich aus Liebe). Dessen Vater war über die ungleiche Verbindung nicht amüsiert (sie bringt ja keinen Grundbesitz, keine Grafschaft etc. in die Ehe ein), und ließ sie ihn die Donau werfen, was sie nicht überlebte. Um den Zwist zwischen Vater und Sohn zu besänftigen, wohl mit tatkräftiger Moderation (Kaiser Sigismund wird hierzu genannt), stiftete der Vater eine ewige Messe und eine Kapelle. Gerüchten zufolge (unbestätigt) ist Agnes darin bestattet. Und der Herzogsohn? Der heiratete kurz darauf eine Adlige (wie es sich gehört) …

 

Totentanzkapelle: die Fresken aus der Rokoko-Zeit (1763) zeigen ein im Mittelalter beliebtes Motiv: der Tod tanzt mit jedem, egal wer oder was er ist. Die Sensation ist, dass der Bilderzyklus erst zum Rokoko entstand, und überlebt hat. (Die meisten Totentanzmotive sind in Frankreich zu finden, und aus dem Mittelalter).

 

Leider sind beide Kapellen, wg. Vandalismusgefahr, nicht zu betreten, nur ein Gitter gewährt Einblick.
Die Liebfrauenkapelle ist komplett gesperrt. In ihr wäre ein Beinhaus …

Das finde ich auf dem Friedhof:
- Grabinschrift, Postmeister, 1840er: „Sein biederer Charakter, seine große Dienstgefälligkeit, sein unermüdliches Wirken während 34 Jahren bleibt allen seinen Freunden im steten Andenken“
- Eine Gedenktafel an der Außenwand einer Kapelle, mit ein paar Leerstellen im Text. Genau dort, wo ich genaue Jahreszahlen und einen Namen erwarte. Als wäre der Betroffene … untot?
- Der Stein eines Scharfrichters (Henkers) zeigt hinten ein Schwert (Zunftsymbol?)
Ein Bäumchen wächst schief, und wieder auf den Boden zurück. Als wirke die Aura eines Geistes auf ihn ein …?
- Alte Grabsteine wurden recycelt. Als Mauerabschluss an der Treppe, und als Trittstufe zur Totentanzkapelle.

 

 

Bei Abflug, an der Tankstelle, endlich das, woran ich nicht mehr glaubte. Niederbayern sind mit jedem gleich per du (nur nicht mit mir).
„Hast du a xxx-Card? Brauchst an Beleg?“ Geht doch.
Niederbayern und I - mir hant’ma jetzt per Du.

Der Bogenberg, von unserem Zimmer aus gesehen.

(Er ist schon hinter der Donau, also weiter entfernt, als es auf dem Bild scheint ...)

 

 

 

 

 

ANHANG

 

FRANKFURT

 

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