Rothenburg o.d. Tauber
Oktober 2016
inkl. Stopover:
- Ellwangen an der Jagst
- Blautopf (Blaubeuren)

Rothenburg: Mittelalterliches Kleinod, eine nahezu vollständig erhaltende Altstadt inklusive Stadtmauer, im Krieg von Luftangriffen (nahezu) verschont geblieben (da die Alliierten den kunsthistorischen Wert der Stadt erkannten) – klar dass die Stadt Touristen aus Japan, China, Amerika und ganz Europa anzieht.

Stopover: Ellwangen
„Türme an der Jagst“ wirbt das Schild an der Autobahn. Gilt eigentlich Crailsheim ...
„Türme der Angst“ lautet unsere Verballhornung ...
Wallfahrtskirche Schönenberg
2km nördlich von Ellwangen, ab den 1680er Jahren nach dem Vorarlberger Münsterschema barock erbaut. Gelb und stolz ragt die Doppelturmfassade auf dem Hügel empor. Innen ist sie angenehm hell, schön strukturiert und heiter gestaltet.
Mein ganz persönliches „Wallfahrtserlebnis“ ist die Erkenntnis, dass es vielleicht noch etwas werden könnte ..., mit dem Barock und mir.

 

Ellwangen a.d. Jagst
2 km die Straße weiter, ist eine nette Kleinstadt in Württemberg. Die 4-türmige Basilika St. Vitus dominiert das Zentrum. Außen ist ihr spätromanisches Erscheinungsbild fast unverändert erhalten. Innen wurde sie erst barockisiert, später rokokoisiert (Ich und der Barock: das bleibt ein schwieriges Thema).
In der Krypta ist die Nachbildung der goldenen Schmuckschatulle von Karl dem Kahlen, das sog. „Reliquenkästchen“, aus dem 8. Jh. zu sehen.

Direkt nebenan steht die Evang. Stadtkirche, die Mauern berühren sich. In unserer Zeit wurde eine Verbindungstür geschaffen – von der kath. in die evang. Kirche. Ein Unikum.
    Im Buchladen schmökern, im Café abhängen, um uns herum schwäbelt es, wir fühlen uns wohl.

o.r.: geflügeltes Herz

M.l.: ich dachte immer im Himmel gibt es keine Uhren ...

M.r.: Krypta

l.u.: Nachbildung der goldenen Schatulle aus dem 8. Jh.

r.u.: kath. u. evang. Kirche berühren sich, sind durch einen Gang verbunden (Unikum)

 

Rothenburg ob der Tauber
Franken ist nur wenige Autominuten weiter.

Eine Asiatin bewundert die Goldfische im Graben vor der Stadtmauer am Rödertor. In der Früh ist wenig los, aber wir sind nicht allein. Schön leuchtet die morgendliche Herbstsonne auf Dächer und Fachwerkhäuser herab. Am Plönlein stapeln sich derweil die Touristen. Wir gehen weiter nach Süden, zur Spitalbastei, dem Stadttor am Südende. Nur wenige Touristen laufen durchs Bild.
Langsam schlendern wir zurück. Das Plönlein bleibt Touristenmagnet. Vor einem japanisch geführten Souvenirladen kehrt der Betreiber Laub vor dem Schaufenster auf, damit der Laden auch von außen schön sauber ist (das ist japanisch). Seit jeher kommen Japaner gerne als Touristen hierher – ein paar Wenige sind gleich geblieben.

Wir kaufen uns „Schneebälle“, die beliebten Mürbteigbänder in Kugelform. Leider bin ich bei so etwas nicht so geschickt, mache mich voll Puderzucker und werde fast zu einer Touristenattraktion.

Wer „Kikis Delivery Service“ genau anschaut, findet die meisten Stadtszenen davon hier wieder (sagt das grafische Auge meiner Frau).

ganz oben: Rödertor

ganz unten: Spitalbastei

 


Vorbei an der Henker-Führung und dem Kriminalmuseum (zur Geschichte der Folter und vielen Exponaten) gehen wir zum Burggarten am Westende der Altstadt. Die Stadtführung hält direkt neben uns, so erfahren wir etwas zur Gründung.
Konrad III. baute hier im 11.Jh. eine Burg, drumherum siedelten sich Menschen an. Auf einer seiner vielen Reisen erschütterte ein Erdbeben die Stadt Basel (in der Schweiz). Die Bürger ließen ihm ausrichten seine Burg wäre ebenfalls betroffen und eingestürzt, fragten auch gleich ob sie die Steine als Baumaterial verwenden dürften. Das Erdbeben fand wirklich statt, hatte aber keine Auswirkung bis hierher. Konrad glaubte es und gab sein Einverständnis, die Burg verschwand fast vollständig (bis auf die Kapelle, daran traute sich niemand), die Stadt wuchs.
Die Grafenfamilie von Comburg-Rothenburg gründete übrigens 6 weitere Städte, alle mit dem Namen Rothenburg ...

o.l.: Stadtmauer, vom Burggarten aus gesehen

o.r.: Mußestunde im Burggarten

u.r.: das Burgtor


Ein Kaffee am Marktplatz-Café wärmt uns auf. Das Glockenspiel des Rathauses verkündet  den „Meistertrunk“. Ein Spiel stellt das Ereignis nach. Im dreißigjährigen Krieg wurde die Stadt vor der Zerstörung durch die Schweden verschont, weil der Bürgermeister einen Humpen Wein (über 3 Liter) auf einen Zug leerte. (Wenn ihr mich fragt gab es handfeste Verhandlungen und danach einen Umtrunk).

der Meistertunk im Glockenspiel am Rathaus, Marktplatz

 


Zeit für Kultur
St. Jakobskirche (2,50 EUR p.P.)
Die große Kirche mit Doppelturmfassade wurde gotisch begonnen und spätgotisch weitestgehend beendet.
Unter ihr führt die Kirchgasse hindurch (ich kenne keine andere Kirche, unter der man durchfahren kann). Reste der Wandbemalung blieben erhalten.
Im 1. Stock ist der berühmte Riemenschneider-Altar zu sehen. Akurat: Hl. Blutaltar, 1501-1504, von Tilman Riemenschneider. (Eigentlich schon zur Renaissance-Zeit entstanden). In spätgotischen Rahmen sind Szenen aus dem letzten Abendmahl aus dunklem Holz geschnitzt. Die plastischen Figuren bestechen durch ihren Ausdruck und ihren Detailreichtum.

oben: Innenraum, Reste der Wandbemalung

unten: "Das Weihnachtsschiff", Schnitzerei aus Afrika

 

Hl. Blutaltar von Tilman Riemenschneider

 

"Soli deo Gloria", Schmiererei/Graffiti von 1554

 

Kirche mit Durchfahrt

 


Reichsstadtmuseum
Sonderausstellung: „Medien der Reformation – Kampf der Konfessionen“
(noch bis 30.09.2017)
Groß war der Hunger der Menschen nach neuen Informationen zur Reformation. Flugblätter waren das Medium der Zeit – eine Seite mit den wichtigsten Infos. Schon bald wurden sie, auf beiden Seiten, zur Propaganda und Verunglimpfung der Gegenseite benutzt. Große Themen waren natürlich der Marienkult, das Papsttum und die Ehelosigkeit der Kleriker.
Die Verunglimpfung reichte hin zu:
- einem 7-köpfigen Papst (also der Papst ist der Teufel selbst und sitzt im Vatikan)
- Luther als Sackpfeife: der Teufel selbst haucht ihm die Gedanken ein, die er laut ausbläst

Vorläufer: der Marienkult. Die einem folgen ihm, bis hin zu ekstatischen Momenten; anderen bleibt er suspekt.
Die Franziskaner spalteten sich auf, eine trad. Linie lehnt ihn ab, da es aus Urzeiten keine entspr. Überlieferung gibt. (Mittelpunkt ihres Lebens ist die Passion Christi). Damit gewannen sie Sympathien im marienkritischen Volk, den sie durch konsequenten Judenhass wieder verspielten.
Vereinfacht gesagt trafen die Reformatoren hier auf eine Marktlücke ...

Sammlung Baumann:
eine beeindruckende und sehenswerte Sammlung an Schwertern, Rüstungen, Schusswaffen uvm. im Reichsstadtmuseum.

Schön prangt die Nachmittagssonne über dem Städtchen. Ein Spaziergang auf der Stadtmauer (gratis) ist da genau das Richtige. In steilen Stufen gehts hinauf, und immer schön den Kopf einziehen! Über die Dächer neuer Wohnhäuser und alter Fachwerkgebäude sieht man immer die vielen Türme der Stadt, kann verweilen und schöne Fotos machen.


Die Gassen sind voll von Touristen. Je größer die Gruppe, desto größer deren Trägheit. Abrupt bleibt einer stehen, mitten im Weg, um ein Foto zu machen. Bis jeder geknipst ist, kann es dauern. Und je größer die Gruppe, desto mehr Raum nehmen ihre Manöver ein und desto weniger Durchkommen gibt es.
Ausweichmanöver um Selfie-Sticks, Münzen in jedem Brunnen (und schon wieder keine Magnet-Angel dabei), und Leute die regungslos dastehen und dafür Geld wollen – der übliche Rummel. Ein paar von ihnen wirken abgekämpft und sehen schon fast aus wie Zombies ... Ein Entkommen ist nicht möglich – die Stadt ist fest in ihrer Hand.
Und, ach ja: am Plönlein stapeln sie sich noch immer.
Zwischen der dritten Historien- und der vierten Henker-Führung huschen wir über die Straße, und landen in Käthe-Wohlfahrts-Weihnachtsladen (gegenüber dem Weihnachtsmuseum). Wer glaubt Weihnachten wäre in Finnland am Polarkreis zuhause (wie ich), in Salzburg oder in Amerika, kann es auch hier finden (ganzjährig!).

u.r.: das Plönlein, Touristenmagnet

 


Langsam beginnt es zu dämmern. Wir haben nicht reserviert aber dennoch Hunger, also fangen wir zeitig an zu suchen.
Wir finden Schilder auf japanisch, chinesische Restaurants deren Karte auf chinesisch ist (mit dt. Übers. darunter). Chinesen haben als Touristen stark aufgeholt und sind in der ganzen Stadt zu sehen. (Ich war vor 20 Jahren hier, da gab es sie noch nicht. Es ist echt erstaunlich wie schnell sie aufgeholt haben).
Zwei Nachtwächter-Touren kreuzen unseren Weg, wir steuern in ein rustikales Wirtshaus. Bei bürgerlicher Küche stärken wir uns, während es draußen dunkel und kühl wird. Auf dem Heimweg kreuzt die nächste Nachtwächter- sowie die erste Gruseltour.


Unser Hotel (Bayrischer Hof, DZ 80 EUR) ist 3 Gehminuten von der Altstadt entfernt. Das Auto parkt hinterm Haus. Auf dem Zimmer klingt der gemütliche Tag aus. Partyvolk und Nachtschwärmer übernehmen die Straßen ...

Am nächsten Morgen ziehen Wolken ein und bringen Regen. Wir fahren ihnen davon, raus aus Franken und rein ins Schwabenländle. Tatsächlich ist der Himmel dort noch blau. Nach so viel Kultur ist etwas Natur genau das Richtige.

Stopover: Blautopf
(Blaubeuren, nahe Ulm) (Eintritt frei)
Der Blautopf ist eine Karstquelle. Direkt neben ihm ragen felsige Hügel auf, die schon zur Schwäbischen Alb gehören. Heißt: Grundwasser sickert die Hügel hinunter, wird gereinigt, und anstatt aus einer Quelle oder einem Wasserfall herauszulaufen, wird es von unten aus dem Boden gedrückt. Dahinter steckt ein komplexes Höhlensystem, das seit 1989 erst systematisch erforscht wird.
Sieht aus wie ein See, ist aber eine Quelle. Das merkt man an der Menge des Wassers die über die Staustufe rauscht und den Fluss Blau begründet.
Die blaue Farbe kommt von der Tiefe der Quelle – sie wird nicht zugefügt. Schön gelegen am Fuße der Bergwelt, unter Laubbäumen, ist er im Herbst ein lohnendes Ausflugsziel.

Bei der Anfahrt, durch das Tal der Blau, passiert man verlockende Häuser wie „Kalte Herberge“ (Hotel, Pension) oder „Schwarzbrenner“ (Gasthof).
Immer Richtung Blaubeuren, dort zum Kloster bzw. zum Blautopf. Das Kloster ist direkt neben der Quelle, der Weg führt übers Klostergelände, dessen Garten ein kurzes Verweilen wert ist.

Gastronomie: ausreichend vorhanden.
Nach hausgemachtem Kuchen mit Kaffee ist unser Zeitvorsprung dahin und die Regenwolken haben uns eingeholt.

Als letztes Gaudium können wir einem Monster-SUV beim einparken zuschauen. Doch bevor er fertig wird haben wir den Spaß verloren und starten heim.

Ein schönes langes Wochenende in deutschen Kleinstädten geht vorbei. Wir bekommen Lust auf mehr Entdeckungen in der Provinz, wo es großartige Sachen zu finden gibt.