Lost in Miesbach

(März 2020)


Bevor der Stau anfängt, bin ich durch. An einem Samstag in der Skisaison nach Miesbach zu fahren, heißt, bis 09:00 die Autobahn zu verlassen. Um kurz nach acht bin ich dort beim Getränkemarkt, erledige diesen Einkauf gleich hier. Auf dem Parkplatz an der Festwiese ist noch genug frei. Jetzt wäre ein Kaffee recht.
Also auf in die Stadt! Eher: hinab.
Der erste Mensch, den ich dort sehe, trägt Tracht. Auf das Häuschen am unteren Parkplatz ist illustriert, worauf der Ort stolz ist: Miesbacher Tracht, Miesbacher Fleckvieh, Gebirgsschützen. Die Tracht wurde im 19. Jh., als volkstümliche Kleidung ein Revival erlebte, als Standard für die bayrische Tracht definiert. (König Ludwig I. schickte Leute aus, um eine Kleidung zu finden, die typisch bayrisch ist, um dies zu fördern – nachdem Bayern ein Königreich, und somit ein eigenes Land geworden war. Der Witz: sie fanden kaum etwas, da die Leute eher modern gekleidet waren. Kein Witz.).

Am Stadtplatz sehe ich einen Mann im Wirtshaus, der gerade den Boden fegt, also die Öffnung vorbereitet. Das ist fast gut. Ich muss also weiter.

So komme ich zur Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt von 1783. Sie hat geöffnet. Zu sehen gibt es nicht sonderlich viel, so bleibe ich an den Votivbildern an der Rückwand hängen. Menschen hatten die Gottesmutter um Schutz und Beistand gebeten.
Das ist doch schön, aber auch ein wenig unheimlich, wie ich finde.


In der Kaffeebar ist es duster und die Stühle stehen auf den Tischen. Ich folge einer engen Gasse, um die Kurve, ein wenig hinab, und komme zufällig an einem Bettenfachgeschäft vorbei. Unter anderem gibt es dort Daunen, von heimischen Enten, die nicht lebend gerupft werden. Zufällig habe ich eine alte Zudecke dabei, die eine Rundumerneuerung gebrauchen könnte. Sehr nette und kompetente Menschen helfen mir weiter. Für einen OK-Preis bekomme ich meine Decke rundumerneuert, aufgefüllt wo nötig, gereinigt und zugeschickt. Fazit: ich bin wirklich sehr zufrieden und komme gerne wieder.

Richtung Bahnhof gibt es viele Geschäfte, auch Gastronomie, aber nichts wo ich Kaffee finde. An alten Häusern vorbei, die rustikal aussehen, folge ich der Ringstraße.
Mir sind zu viele Autos unterwegs. Also nehme ich einem Fußweg, den Hügel hinauf. Und das seltsame Gebäude lockt mich an:


Portiunkulakirche, von 1658, aka St. Franziskus, ein achteckiger Zentralbau, mit angebautem Turm. 2x grundsaniert, dazwischen aufgegeben und zum Abriss freigegeben, ein Kleinod, das bis heute überlebt hat. Leider geschlossen.
Daneben steht das ehem. Kloster, jetzt Schule, verlassen und womöglich streift der Wind durchs Treppenhaus – für mich sieht es mehr nach der Kulisse für einen Hitchcock-Film aus …

 

Hier „oben“ sind Ämter, und Durchgangsverkehr. Eins der Ämter ist in einem ehem. Schloss, von 1611, erbaut vom Grafen Maxlrain, untergebracht. Ein unaufdringlicher, feiner Bau.
Mein Weg führt hinab, vorbei am Haindl-Keller, der 1923 in historisierenden Formen umgestaltet wurde. Was ich davon halten soll? Keine Ahnung.

r.u.: das SUV unten habe ich kaschiert, damit sich niemand provoziert fühlen muss


Auf dem Stadtplatz ist noch genauso wenig los. Die geöffnete Tür zum Waitzinger-Bräu-Festsaal gewährt auch Zutritt zu Arztpraxen. Ob Koffeinmangel als Behandlungsgrund durchgeht?
Die Brunnenfigur zeigt eindringlich, wie St. Georg einen Drachen tötet. Die Lichterkette drauf herum ist an. Von oben herab stößt er gleich das Schwert in das Viech. Für mich ist das zu brutal, und auch ein wenig seltsam. Wenn das so ist, fahre ich lieber.

 

 

Stopover
Der „Raketenturm“ lockt mich, ich fahre bei Kleinpienzenau raus, halte genau darauf zu. Neben dem Gasthaus Steininger, geschlossen und verlassen, kann ich parken. Die Kirche von 1496 wurde später barockisiert, und der Turm im 19. Jh. erweitert. Leider geschlossen. Wie in Weyarn üblich (auf dessen Gemeindegebiet ich mittlerweile bin), wird hier aus unverputztem Tuffstein gebaut. Was bei den ganzen bunt verputzten, barocken Zwiebeltürmen heraussticht. Mit dem Effekt, dass es an dusteren Regentagen ein wenig unheimlich aussieht.

Warum sieht bei mir immer alles so "Blair-Witch-mäßig" aus?

 

Neben der Autobahn, im Grünstreifen, finde ich jede Menge leerer Kaffeebecher, die vorsätzlich aus fahrenden Autos geworfen wurden, und bin geschockt von all dieser Rücksichtslosigkeit.

r.o.: ich fahre gerne auf dem Seitenstreifen, wenn er freigegeben ist. Was ich dort an Abfällen sehen durfte, hat mich echt frustriert.

 

Meinen Kaffee bekomme ich erst zuhause, nach Rückkehr. Der Törn für nix.

Dafür habe ich das Bettengeschäft meines Vertrauens gefunden.
https://www.bettenshop-berner.de