München-Fröttmaning

Kirche Hl. Kreuz (die älteste im Stadtgebiet), und Besteigung des Müllbergs
Juli 2019

Dieser Ausflug wurde präsentiert und durchgeführt von Berti Tours.
„Mit Berti-Tours erlebst Du was. Ob Du willst, oder nicht“.

Berti-Tours verspricht: „eine psychedelische Erfahrung“ (und das auch noch drogenfrei)

da rechts, gleich hinter den Bäumen (und direkt neben der A9), da versteckt sie sich

 

Müllberg-Besteigung
Der Ausflug auf den Münchner Müllberg (aka „Fröttmaninger Berg“) ist fakultativ. Die Wolke ist schwarz und hängt tief. Die einzige Teilnehmerin findet das perfekt. Sie will den Berg! Sie braucht den Berg! Die Wolke bleibt hängen und regnet sich ab. Wir stellen uns unter, werden dennoch patschnass.

Oben steht eine Windkraftanlage (auf ca. 70 Höhenmeter). Wir schauen hinüber zum nächsten Berg (den aktuellen Müllberg), und wie die Regenschleier an den Bergflanken festhängen. Durchs „Tal“ zieht sich ein Leuchtband – die A99 mit ihrem Dauerstau.
Direkt nebenan ist das Klärwerk Großlappen. Und überhalb der A9 steht die Allianz-Arena. Dort ist gleich das Autobahnkreuz München-Nord, wo sich A9 und A99 kreuzen.

Ein Gipfelschnaps wäre i.O. (ich habe nur keinen dabei). Eine Gipfelzigarette ist nicht gestattet. Überall stehen Warnschilder, für austretendes Deponiegas und dessen Entzündlichkeit.

Auf dem Müllberg

r.o.: der oft statische Stau auf der A99

2.v.o.r.: Warnschild an einem Entlüftungsschacht des Müllberges

3.v.o.l.: viele dieser Warnschilder und Schächte, die ja nach oben führen, und um den Gipfel plötzlich vermehrt auftreten

r.u.: das Windrad auf dem Gipfel

 

Der Berg wurde versiegelt, begrünt und renaturalisiert. Wir staunen über den Artenreichtum: Brombeeren, Holunder, ganz viele verschiedene Blumen und Gräser, Bäume, sogar Wäldchen wachsen hier. 15m tiefe Spundwände halten das Sickerwasser zurück.
Es ist der erste Berg, den wir komplett aus eigener Kraft bezwingen.

o.: Renaturierung

l.u.: das Klärwerk Großlappen

r.u.: der Berg ruft

 

 

Versunkenes Dorf (Kunstwerk)
„Versunkenes Dorf“, heißt die Kopie von Hl. Kreuz, des Künstlers Timm Ulrichs. Die leere Hülle des Kirchleins, die vom Müllberg geschluckt wird. Der Weiler Fröttmaning wurde dem Berg tatsächlich geopfert.
Angeblich war es der einzig brauchbare Vorschlag, auf die damalige Ausschreibung. Und angeblich hatte sich der Künstler noch eine Reliquie gewünscht, die er in das Werk legen kann.

Die maßstabsgetreue Kopie von Hl. Kreuz, innen leer, als Kunstwerk. Es veranschaulicht, wie ein ganzes Dorf vom Müllberg "gefressen" wird


Heilig Kreuz (Fröttmaning)
Die älteste Kirche auf Münchner Stadtgebiet, aus dem 11. Jh., mit Anfängen im 8. Jh. Außen romanisch.
„Romanik in Bayern“ klingt erstmal nach einem Widerspruch in sich. Doch bei genauerem Blick gibt es mehr zu finden, als ich bislang dachte …

Das Kirchlein ist nur ab und an geöffnet (ca. 1x im Monat), zu einer „offenen Führung“. (wir waren Sonntag 16:30). Zu erfahren über den zugehörigen Pfarrverband St. Albert – Allerheiligen.
www.pfarrverband-albert-allerheiligen.de
Ich hatte per E-Mail angefragt: St-Albert.Muenchen@ebmuc.de

(Ein Arbeitskollege kommt noch hinzu, wir sind zu dritt. Im Innenraum finden sich 10 Leute zusammen. Die offene Führung wird immer angenommen, hören wir).


Dieses Kirchlein ist ein echtes Kuriosum. Der ehrenamtliche Kirchenpfleger erzählt mehr als 1h lang, höchst interessant, erläutert auch die jeweiligen Umstände der Zeit. 3x in unserer Zeit wäre die Kirche fast plattgemacht worden. Was dabei verloren gegangen wäre, erkunden wir nun.
Machen wir ein wenig „Leistungskurs Geschichte“:

Alte Bäume und ein noch älterer Friedhof rahmen das Gebäude ein. Mit den knorrigen und ausladenden Bäumen hat die Kulisse etwas von einem Spukfilm oder einer Vampirserie …

Nun zur Geschichte. Ich hoffe alles richtig verstanden und wiedergegeben zu haben.

Im Jahr des Herrn 815 schenkt Sutori die Kirche dem Bischof von Freising. Darüber gibt es eine Schenkungsurkunde, auf Pergament geschrieben. Im Material war ein Loch, sie schrieben einfach um das Loch herum. (Das Foto davon wird herumgereicht).

Es war wohl ein Holzbau. Die Bewohner des Weilers Fröttmaning bauten sie in Eigenregie. Somit fällt sie in die Rubrik „Dorfkirche“ (also ohne ansässigen Pfarrer) oder "Betraum". Darüber steht eine „Filialkirche“. (Sie hat einen zuständigen Pfarrer, der von der Pfarreikirche vorbeikommt. Also keinen ganz eigenen, aber sie gehört immerhin dazu.)
Damit sie geweiht werden kann, soll sie offiziell der Kirche gehören. Deshalb die Schenkung. Somit kommt auch ein Pfarrer zu Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Alle weiteren Gottesdienst und LIturgien etc. kosten.
Fröttmaning bestand aus 3 Höfen, mit max. 60-80 Bewohnern. Sie lebten hauptsächlich von der Schafzucht, denn die Gegend war Heideland, und somit karg. Auch wenn die Straße von München nach Freising direkt hier vorbeilief, änderte das nicht viel an den Lebensumständen.
Im „Chor“ stand ein Tuffstein-Block als Altar. Der wurde „importiert“, höchstwahrscheinlich auf der Isar, aus dem Alpenraum, war somit wertvoll.

Diese Schenkung ist auch deshalb so interessant, weil sie zu Beginn des Mittelalters stattfindet. Das Heilige Römische Reich (ca. Deutschland) existiert noch nicht, selbst das Ostfrankenreich (als Vorläufer) ist noch nicht genau definiert. Karl der Große war 814 gestorben, das ganze Gebilde war in sich zerstritten. In dieser finsteren Zeit bildete das Bistum Freising einen Hort der Stabilität und der Kultur.  

Ab ca. 1100 entstand der heutige Steinbau. Die Mauer bestand außen aus einer dünnen Ziegelwand, und innen. Dazwischen wurde aufgefüllt, mit dem, das da war – Sand, Erde, Stroh, etc. Ziegel werden gebrannt, dazu braucht es Energie, das macht Ziegel teuer.
Innen malten die Leute mit Kalk (ebenfalls wertvoll, weil vor Ort nicht vorhanden) direkt auf die Ziegelwand. Was ihnen so einfiel. Einen Lebensbaum, das Sonnenrad, dekorative Elemente. So war das damals üblich, so machten es viele. Der Witz ist aber: überall sonst wurde das übertüncht. Hier auch, doch bei der Renovierung um 1980 kamen die Motive wieder zum Vorschein. In Deutschland ist dies der einzige erhaltene Fall (!).

Deutlich sieht man hier, wie mit Kalk direkt auf die Ziegelwand gemalt wurde. Es ist (derzeit) das einzig erhaltene Beispiel in Deutschland, somit eine Sensation. Datiert auf 11. Jh.

 

 

Um 1500 finden im ganzen Bistum Erfassungen statt (die Protestanten machen es vor). Der Bischof schickt aus, um Berichte einzuholen, was da draußen so alles vor sich geht. (Anm. d. Verf.: in Sachsen und Brandenburg fanden die Protestanten heraus, dass die Pfarrer irgendetwas lateinisch klingendes abspulten, und keine Ahnung hatten, was das alles bedeutete … Es war hauptsächlich eine "Show", die etwas Religiöses suggerieren sollte ...).
Das Ergebnis: in Hl. Kreuz fehlt sämtliches liturgisches Gerät vollständig.

Während aller Kriege, vor allem des Dreißigjährigen Kriegs, diente der Bau den Anwohnern als Rückzugsort. Dicke Steinmauern eignen sich dafür gut, und die Fenster bestanden nur aus Schlitzen in der Wand.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg herrschte Aufbaustimmung (vergleichbar mit der Nachkriegszeit bzw. den 1950er Jahren).
- Um 1740 begann auch hier die barocke Neugestaltung.
- Der Altar wurde neu gestaltet. Es gilt als ziemlich sicher, dass der alte Tuffstein-Block von ihm umfasst wurde. Die alten Fenster (Schlitze) wurden geschlossene, große gläserne Fenster eingebaut.
- Der Turbo: eine Kreuzsplitter-Reliquie begründete eine Wallfahrt hierher, die ein bisschen Geld einbrachte.


Ein unbekannter Künstler (Vergleiche mit anderen Werken lassen auf einen
Münchner Kulissen -und Theatermaler (Neumann?) schließen), wurde mit der Ausmalung beauftragt. (Der direkte Nachweis für ihn fehlt, doch die Motive und der Stil sind für Experten eindeutig).


- Golgotha: 1 Kreuz im Strahlenkranz (für Jesus); 1 mit blühendem Busch (der bekehrte Schächer),

1 mit dürrem Gras (der unbekehrte Schächer)


- Kreuzerhöhung: Kaiser Heraklios von Byzanz hat die verschwundene Kreuz-Reliquie (das ganze Kreuz Christi) gefunden, und will triumphierend damit einziehen. Doch gemäß einem Bibel-Zitat soll er in Demut eintreten, deshalb legt er Krone und Zepter ab.


- Jüngstes Gericht (unser Liebling): eine Kugel (für die Welt) steht auf einer Landschaft, vor einem Kreuz (= dem Weltenrichter). Ja, richtig gelesen und gesehen: die Welt ist eine Kugel.


Und auf der Empore sind Löcher in den Zaun-Brettern: sie wurden für die Kinder gebohrt, damit sie etwas vom Gottesdienst etc. sehen konnten.

Die Deckengemälde:

r.o.: Das Jüngste Gericht: die Welt, als Kugel (ja, die Welt ist eine Kugel), vor einem Kreuz, das Jesus als Richter symbolisiert. Eine Super-Abstraktion, irgendwie modern

l.u.: die -ebenfalls super-abstrakte- Golgotha-Szene

M.l.: Petrus. Der Hahn stellt wohl die damalige Größe und Ernährungslage von Hühnern dar

r.u.: der Hl. Franz Xaver (damals ein Mode-Heiliger)

Dazwischen: die Kreuzerhöhung. Kaiser Heraklios muss Krone und Zepter ablegen, sich kleinmachen vor dem Kreuz

 

 

In relativer Beständigkeit ging alles so dahin, bis in die 1940er Jahre. Der 2. Weltkrieg ging an Fröttmaning spurlos vorüber (München wurde stark bombardiert, aber die Stadt lag deutlich weiter südlich). Erst 1931 wurde Fröttmaning der Stadt München eingemeindet.

Einschub:
Nicht jede Siedlung überdauerte die Jahrhunderte. Manche Orte verschwanden wieder ganz von der Landkarte. Ein lokales Beispiel ist der Weiler Mallertshofen.
Einschub Ende.

Das Gut Großlappen (gleich nebenan) wurde beauftragt, Klärwerk und Müllentsorgung für die im Wirtschaftswunder stark wachsende Stadt und v.a. ihre Reste einzurichten. Der Müll wurde hier sortiert, verbrannt und deponiert. Ab den 1950ern wuchs der Müllberg. Der Ort Fröttmaning wurde aufgelöst und die Bewohner umgesiedelt (de facto ist es seitdem eine Wüstung). Somit stand die Kirche alleine und verwaist.

Um 1960 waren bereits alle Kunstgegenstände gestohlen. Bis 1971 wurde auch noch die Glocke entwendet (Buntmetall brachte Geld). Dabei fiel sie auf den Altar, inkl. dem uralten Tuffstein (ausgerechnet). Der Zustand des Gebäudes war desolat, innerhalb 2 Jahrzehnten war sie zur Ruine verkommen.

In den Plänen für das Autobahnkreuz verläuft ein Abzweiger direkt über Kirche und ihren Friedhof. In Großlappen erkennt ein Mutiger den Ernst der Lage, setzt alle Hebel in Bewegung, und erreicht eine Verlegung um ein paar Meter. Bürgerproteste halfen dem tüchtig nach.


Ab 1974 wird renoviert. Die entscheidende Frage dazu ist: welcher Bauzustand soll wiederhergestellt werden? Oder: welche Kombination ist historisch bedeutend genug, um sie zu repräsentieren?
Die Entscheidung fällt auf: romanische Außenfassade, barocke Innenausstattung, mit freigelegten Fresken aus der Entstehungszeit.
Mitte der 1980er wird der Müllberg geschlossen. Der Rettungsweg für die Allianz-Arena wird weiter nach Süden verlegt, die Kirche ist nach tausend Jahren Geschichte doch noch nicht entsorgt.

 

2.v.l.o.: das eine Reliquiar (von insg. 2)

r.o.: der Hl. Geist, als Taube (inkl. Füßen)

l.u.: Original-Boden, mit Fußabdrücken von damals

r.u.: ein Bild der Schenkungsurkunde von 815

 

 

Wir gehen zurück, immer am Fuße des Müllbergs entlang, direkt neben der Autobahn, auf Fußwegen, die auch als Zufahrtsweg genutzt werden, immer auf das Klärwerk zuhaltend, auf einer Brücke über die Autobahn zur Arena, über Baustellen, zu unserem Parkhaus. Durch das ganze „Brachland“, in dem sich dieses Juwel versteckt.

Stadteinwärts ist die Autobahn dicht. Ich reihe mich ein auf die A99, südgehend. Langsam geht es voran, aber der Verkehr fließt. Am Ostkreuz fahre ich ab, umfahre den Stau des Ferienverkehrs weiträumig, durch leeres Land. Der Scheibenwischer läuft auf Hochtouren, die Heizung ebenfalls, um uns zu trocknen, der Platzregen draußen wird nicht weniger. Drei Mal durchnässt und hungrig kommen wir zuhause an, ziehen uns trockene Sachen an und essen endlich was.

Den Teilnehmern tut am nächsten Tag noch alles weh.
Die Reiseleitung ist mit sich selbst zufrieden (und das ist ja die Hauptsache :-) ).

„Eine psychedelische Erfahrung“ hatte ich versprochen. Es war weit mehr als das.
Ich bin den älteren Semestern dankbar, dieses Kleinod gerettet zu haben, und sich bis heute so rührend darum zu kümmern.

 

 

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